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Hohe Hürden für den Neubau

Von am 20. Februar 2017
NZZ Domizil

Wenn Stockwerkeigentum in die Jahre kommt, braucht es Einigkeit über das Vorgehen

Das Stockwerkeigentum, erst seit 1965 in der Schweiz gesetzlich verankert, ist populärer denn je und hat sich als Eigentumsform bewährt. Trotzdem erweist es sich als eine konfliktträchtige Form des Miteigentums. Eine Vielzahl der Bauten im Stockwerkeigentum ist mittlerweile in die Jahre gekommen und steht vor einer grosszyklischen Erneuerung. Obwohl das Stockwerkeigentum auf Dauer angelegt ist, bietet das Gesetz keine klare Regelung über Abbruch und Neubau älterer Liegenschaften und lässt viele Fragen für mögliche Umsetzungsvarianten offen.

In der Verwaltung und Nutzung seiner zu Sonderrecht ausgeschiedenen Räumlichkeiten ist der Stockwerkeigentümer frei. Für Verwaltungshandlungen und bauliche Massnahmen an den gemeinschaftlichen Teilen verweist das Gesetz auf die Bestimmungen über das Miteigentum. Die baulichen Massnahmen als besondere Verwaltungshandlungen sind in Art. 647c ff. ZGB geregelt und werden unterschieden nach notwendigen, nützlichen und luxuriösen baulichen Massnahmen.

Sinn und Zweck dieser Aufteilung ist es, notwendige bauliche Massnahmen sicherzustellen, die nützlichen zu ermöglichen und die luxuriösen nicht auszuschliessen, wobei bei Letzteren die einzelnen Miteigentümer vor einer zwangsweisen Kostenbelastung geschützt werden sollen.

Das Gesetz enthält für Abbrucharbeiten keine explizite Regelung, abgesehen vom Abbruch mit anschliessendem Wiederaufbau. Es stellt sich somit die Frage, wie es sich verhält, wenn eine Baute abgebrochen und anschliessend ein Neubau erstellt werden soll. Allerdings räumt das Gesetz Stockwerkeigentümern unter gewissen Umständen (Art. 712f Abs. 3 und 4 ZGB) einen individuellen Anspruch auf Aufhebung des Stockwerkeigentums ein. Jedoch lässt die Interpretation der vorgeschriebenen materiellen Voraussetzungen viele Fragen offen, was zu Anwendungsproblemen und auch Gerichtsverfahren führen dürfte.

Die grössten Herausforderungen
Aus Experteninterviews mit Vertretern aus Recht, Politik, Immobilienentwicklung, -promotion und -verwaltung sowie dem Kreditwesen hat sich neben der fehlenden gesetzlichen Regelung zum Thema Ersatzneubau die Konsensfindung unter den Miteigentümern für ihre Entscheidungen als grösste Schwierigkeit herauskristallisiert.

Als grösste Hürde wird von den Experten die Entscheidungsfindung bei der Objektstrategie genannt, weil die meisten Stockwerkeigentümergemeinschaften keine strategische Langzeitplanung entwickelt haben. Dadurch fehlt es am gemeinsamen Verständnis beziehungsweise an der Erkenntnis, dass eine bauliche Massnahme an der gemeinschaftlichen Liegenschaft notwendig ist, weil das bestehende Gebäude nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht.

Als weitere Barriere wird die Bestimmung eines gerechten, anrechenbaren Wertes (Landanteil) für die im Projekt verbleibenden und ausscheidenden Stockwerkeigentümer erwähnt. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, und keine kann als richtig oder falsch bezeichnet werden. Die Berechnung des Residualwertes ist vermutlich die sinnvollste Lösung, um den aktuellen Landwert zu berechnen.

Sofern sich die Eigentümer über die Objektstrategie und die finanzielle Seite geeinigt haben, steht noch die Einigung über das zu realisierende Neubauprojekt bevor. Es stellen sich diverse Fragen beim Neubau wie beispielsweise Grösse des Gebäudes, Anzahl und Neuaufteilung der einzelnen Einheiten, Architektur, Ästhetik, Bauqualität, Auswahl der Baumaterialien usw. Sofern diesbezüglich keine Übereinkunft gefunden werden kann, dürfte sich das Projekt durch renitente Eigentümer, unter Ausschöpfung der Rechtsmittel, über mehrere Jahre verzögern.

Eine Lockerung des Einstimmigkeitsprinzips könnte ein möglicher Lösungsansatz für dieses Problem sein, dürfte aber aufgrund bisheriger Erfahrungen mit politischen Vorstössen zu diesem Thema schwer durchsetzbar sein, weil der Schutz des Eigentums in der Schweiz sehr hoch angesetzt ist. Eine weitere Handlungsmöglichkeit könnte eine gesetzliche Regelung des Erneuerungsfonds sein, damit die finanziellen Mittel für grössere bauliche Massnahmen wie bei den gemeinschaftlichen Teilen ausreichend vorhanden sind. Denn wenn mangels Langzeitplanung einzelnen Stockwerkeigentümern zum gegebenen Zeitpunkt das Geld für ein Bauvorhaben fehlt, kann dies die Sanierung und den beschlossenen Ersatzneubau blockieren.

Regelung im Reglement einbauen
Eine relativ einfach umsetzbare Möglichkeit wäre die Regelung des Ersatzneubaus im Stockwerkeigentümerreglement. Jede Stockwerkeigentümergemeinschaft hat es selber in der Hand, Vorkehrungen zu treffen und verschiedene dispositive Punkte zu ergänzen oder abzuändern, um Klarheit für künftige Fragen zu schaffen und somit unnötige Konflikte zu verhindern.

Weil die Nachfrage nach Stockwerkeigentum als Eigentumsform in der Schweiz aufgrund der demografischen Alterung und des Bevölkerungswachstums hoch bleiben wird, braucht es Wege und Regeln für den Ersatzneubau im Stockwerkeigentum, der ein komplexes Unterfangen bleibt. Gefordert sind hierfür der Gesetzgeber, der Markt und die betroffenen Eigentümer selber.

Rinaldo Meier
Der Autor arbeitet als Finanzierungsexperte bei einer Schweizer Bank. Er hat sich mit dem Thema im Rahmen seiner Diplomarbeit am Center for Urban & Real Estate Management Curem an der Universität Zürich auseinandergesetzt. Die Arbeit wurde mit dem Förderpreis 2016 von Wüest Partner ausgezeichnet. Sie ist online erhältlich unter http://nzz.to/2jYfkeG.

Dieser Beitrag ist dem Immobilienbund der Neuen Zürcher Zeitung «NZZ Domizil» entnommen.

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