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Heute an übermorgen denken

Von am 26. Januar 2017
NZZ Domizil

Leere Rohre für Leitungen, ausreichend Platz für den Verteilerkasten: Mit geringem Aufwand schafft man bei Um- und Neubauten die Voraussetzung dafür, dass der Sprung ins Zeitalter der «Smart Homes» gelingt

Claude Settele

Mit griffigen Slogans wie «Ihr Haus denkt mit» bewirbt die Industrie das Konzept des Smart Home, das mehr Wohnkomfort, Sicherheit und effizientere Energienutzung verspricht. Die Storen reagieren auf die Sonneneinstrahlung, die Heizung lässt sich fernregulieren, via Wandschalter oder Tablet steuert man das Licht und die Musikanlage – das Anwendungsfeld ist grenzenlos. Ein ausgeklügeltes System kann fast jedes Gerät einbinden, von der Kaffeemaschine bis zur Pumpe, die sich bei einem Defekt meldet.

Das Smart Home ist zurzeit in aller Munde. Die Studie «Smart Home 2030» des Gottlieb-Duttweiler-Instituts kommt zum Schluss, dass der Markt in der Schweiz noch wenig entwickelt ist. Eine Befragung von 400 Fachleuten zeigte, dass die Akteure die Entwicklung recht unterschiedlich einschätzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Smart Home bis in zehn Jahren als Standard durchsetzt, schätzen Architekten und Bauingenieure als viel geringer ein als etwa Elektro- und Gebäudeplaner oder die Immobilienhändler.

Noch sind es oft Budgetgründe, die der Realisierung im Wege stehen. Ein durchdachtes, zukunftssicheres Smart Home lässt sich nicht mit ein paar vernetzten Gadgets aus dem Online-Store realisieren. Die Basis für ein kluges Haus ist die Gebäudeautomation, die auf einer intelligenten Vernetzung der elektrisch steuerbaren Geräte wie Lichtquellen, Storen und Heizung basiert. Dies erfordert eine frühzeitige Evaluation und Unterstützung von erfahrenen Elektroplanern und Integratoren, schon aufgrund der zahlreichen Lösungen und Bussysteme wie KNX, Loxone, Digitalstrom oder Lutron.

Diese setzen ein eigenes Kabelnetz voraus oder nutzen, wie das Schweizer Produkt Digitalstrom, die elektrischen Leitungen für die Datenübertragung. Georg Diener, Leiter des Winterthurer Smart-Home-Spezialisten Invisia, hält das seit 20 Jahren etablierte KNX-System dank der grossen Reichweite für eine gute Lösung für Gewerbegebäude. Bei Einfamilienhäusern bevorzugt er Digitalstrom. Die Lösung ist günstiger, bietet laut Diener eine flexiblere Programmierung der gewünschten Automation und lässt sich selber konfigurieren.

Das Aargauer Unternehmen Renomation setzt auch in kleinen Liegenschaften auf KNX. Projektleiter Urs Schnellmann beurteilt den offenen Standard als sehr robust und zukunftssicher, weil er keine Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter schaffe und die Produktepalette zudem sehr gross sei. Einig sind sich die Fachleute darin, dass das Thema Smart Home bei jedem Um- und Neubau auf den Tisch sollte. «Es ist wichtig, einen bewussten Entscheid zu fällen. Viele bereuen im Nachhinein, nicht informiert gewesen zu sein», sagt Schnellmann.
Wer beim Neubau ausreichend Leerrohre für die Vernetzung plant und den Verteilerkasten grosszügig dimensioniert, kann die Gebäudeintelligenz auch später einbauen. Verpasst man die Chance, wird die Nachrüstung erschwert und verteuert sich. Georg Diener beziffert den höheren Aufwand bei der Nachrüstung mit 50 Prozent. Zu bedenken ist auch, dass der Verkaufswert eines Hauses ohne «smarte» Funktionen künftig sinken dürfte.

Die Preisspanne für ein «smartes» Haus ist gross und hängt massgeblich vom Ausbaustandard ab. Invisia veranschlagt die Kosten für eine Basisinstallation mit intelligenten Storen in allen Räumen und Lichtsteuerung im Wohnraum auf rund 10 000 Franken für eine Wohnung – und auch ein Einfamilienhaus. Eine mittlere Variante mit Lichtsteuerung in allen Räumen und weiteren Funktionen kostet laut Diener schnell einmal das Doppelte davon. Will man auch die Garage oder andere Nebengebäude und den Swimmingpool fernsteuern, sind es eher 50 000 Franken. Als Anhaltspunkt für die Kosten eines Smart Home hat Renomation konkrete Rechenbeispiele erstellt. So belaufen sich die Kosten für umfassende Funktionen bei einer 41/2-Zimmer-Wohnung auf rund 20 000 Franken, bei einem Einfamilienhaus auf etwa 30 000 Franken (siehe Box). Hinzu kommen noch die Kosten des Elektroinstallateurs, die laut Urs Schnellmann zusätzlich ungefähr 3 bis 5 Prozent des Investitionsbetrages ausmachen.

Das mitdenkende Haus ist also nicht ganz billig, dafür eine langfristige Investition. Denn das Smart Home erhöht nicht nur Komfort und Sicherheitsgefühl – die Technik kann als wachsamer und hilfreicher Assistent auch die Lebensqualität im Alter fördern, worauf Georg Diener mit Blick auf ein zu wenig beachtetes Thema hinweist: «Viele Leute würden gerne Geld ausgeben, um im Alter zwei, drei Jahre länger in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus leben zu können.»

Dieser Beitrag ist «NZZ Residence» entnommen, dem Magazin für Wohnen und Immobilien der NZZ am Sonntag.

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